5 Uhr morgens ist normalerweise nicht meine Zeit, um aufzustehen.
Allerdings steht heute um 7.30 Uhr ein Systemtest aufgrund eines Updates an und ich möchte rechtzeitig im Büro in Düsseldorf sein. Ich komme zu Hause nur schwer in die Gänge und muss mich letztendlich beeilen, um pünktlich um 6 Uhr das Haus zu verlassen. Auch wenn ich fürs Schminken nicht viel Zeit brauche, reicht es dafür heute Morgen nicht. Ich nehme die Utensilien ausnahmsweise mit ins Büro und mute meinen Kollegen zu, mich zunächst ungeschminkt zu ertragen.
Mein Zug fährt in 18 Minuten. Ich eile zur Garage, um mein Fahrrad rauszuholen. Zum Glück regnet es nicht und ich kann direkt losdüsen. Ich fahre immer mit dem Fahrrad zum Dinslakener Bahnhof, da das für mich die flexibelste und schnellste Variante ist. Die frische Luft bekommt mir gut und werde etwas wacher. In ca. 13 Minuten bin ich da, wenn ich gemütlich fahre.
Normalerweise kenne ich die Gesichter meiner morgendlichen Mitpendler. Da ich aber um diese Zeit nie zur Arbeit fahre, sehe ich heute Morgen nur Unbekannte auf dem Bahnsteig. Wie an den meisten Tagen ist der Zug pünktlich und ich bekomme einen Sitzplatz am Fenster. Ich mache nur selten schlechte Erfahrungen mit Verspätungen und Zugausfällen und bin ein sehr zufriedener Bahnfahrer. Bevor ich mich meinem Zugfahrtzeitvertreibungsritual widme, beobachte ich die anderen Fahrgäste. Um diese Uhrzeit haben viele noch die Augen zu. Ich traue mich das nicht, weil ich dann wahrscheinlich ähnlich unansehnlich bin, wie die meisten, denen der Mund aufklappt und Schnarchgeräusche entweichen.
Die meisten beschäftigen sich aber wie üblich mit ihrem Handy. Schon komisch, dass man mit über 200 Menschen in einem Zug sitzt aber irgendwie doch jeder allein ist. Ich genieße das und vertiefe mich in das Lesen meiner Tageszeitung. Ich gehöre zu der seltenen Spezies, die die Zeitung tatsächlich noch papierhaft liest. Was das angeht, sind mein Mann und ich altmodisch. Ein sogenanntes e-Paper kommt uns nicht ins Haus, so lange es noch keine Möglichkeit gibt, das Kreuzworträtsel digital zu lösen ;-).
Zwischendurch lausche ich den automatischen Stationsansagen im Zug. Da diese Linie von einem niederländischen Unternehmen betrieben wird, gibt es jede Durchsage auch auf niederländisch. Ich mag diese Sprache, weil sie mich an Plattdeutsch erinnert, das meine Großeltern noch gesprochen haben.
Das Lesen entspannt mich sehr und ich empfinde die Zugfahrt von 40 Minuten als kurzweilig. Am Düsseldorfer Hauptbahnhof wird es dann hektisch. Da der Zug hier endet, verlassen alle Fahrgäste den Zug und drängen mit mir gemeinsam über das Gleis, die Treppen hinunter in den Bahnhof. Jetzt beginn der unschöne Teil meines Arbeitswegs. Im Bahnhof wimmelt es von Menschen und auch eine Etage tiefer auf dem U-Bahnsteig ist es nicht anders. Ich habe Glück und muss nur 5 Minuten auf die passende Bahn Richtung Oberkassel/Lörick warten. Bei der Masse an Menschen denke ich wieder an die Bilder aus dem Fernsehen von japanischen U-Bahnhöfen. Zum Glück ist es hier dann doch nicht so voll, dass man von den Security-Leuten reingepresst wird. Zu meiner Überraschung lässt mir ein junger Mann den Vortritt auf einen gemeinsam angestrebten Sitzplatz. Sehe ich ungeschminkt wirklich so viel älter aus, dass ich einen Sitzplatz dringend nötig habe? Egal, ich freue mich einfach über seine Höflichkeit.
Zufrieden widme ich mich meinem Buch, das ich auf dem Kindle lese. Ein bisschen bin ich also doch in der digitalen Welt angekommen ;-). Ab und zu sehe ich auf und erblicke einige Mütter und Väter in Business Kleidung, die auf dem Arbeitsweg noch ihre Kinder in die Kita oder zur Schule bringen. Von einer Kollegin weiß ich, wieviel Zeit das kostet und wie umständlich es sein kann, wenn man erst noch in eine völlig andere Richtung fahren muss. Dafür gibt es in einer Großstadt weniger Probleme mit Elterntaxis. Trotzdem beneide ich diese Eltern nicht.
Nach drei Haltestellen fährt die Bahn oberirdisch und bald geht es über den Rhein. Hier blicke ich jedes Mal auf und genieße den Blick auf den Fluss. Der Anblick von Wasser hat für mich immer etwas Besonderes. Eine kleine Entschädigung für die unentspannte 15-minütige Fahrt.
An der Haltestelle „Prinzenallee“ steige ich aus. Hier leert sich fast die ganze Bahn, da rund herum nur Büroparks sind. Zu meinem Arbeitsplatz sind es nur noch 2 Minuten und ich schaffe es pünktlich zum Systemtest.
Als ich das Büro betrete, sitzt mein Kollege Uli schon an seinem Platz und wir begrüßen uns mit „speziellen“ Floskeln und Sprüchen, die ich hier so nicht wiedergeben kann…
In solchen Momenten vergesse ich die fast 1,5 Stunden Anreise und freue mich auf den Rest des Tages. Heute werde ich noch die Dienstreise für meinen Chef und mich nach Hamburg buchen, wo wir einen unserer externen Dienstleister besuchen.
Für die tolle Atmosphäre mit meinen Kollegen und die abwechslungsreiche Tätigkeit, die mir Spaß macht, nehme ich den langen Arbeitsweg in Kauf.
Wenn mich also jemand fragt: „Warum tust du das?“ sage ich: „Weil hier vieles stimmt.“