Als Ausgleich zur Arbeit reise ich gerne und finde es spannend, andere Kulturen und Lebensweisen kennen zu lernen. Wichtig ist mir dabei ein guter Mix aus Erholung, Sport und einem engen Kontakt zu den einheimischen Menschen. Statt auf Pauschalreisen zurück zu greifen, ziehe ich Aufenthalte in kleinen Unterkünften inmitten des täglichen Lebens vor.
Bei der Suche nach einem Urlaubsziel abseits vom Massentourismus bin ich 2013 mit meiner Frau auf Tobago, eine Insel in den kleinen Antillen, gestoßen. Den Staat Trinidad & Tobago kannte ich bis dato nur vom sympathischen Auftreten bei der Fußball WM 2006 in Deutschland; die farbenfroh und gut gelaunten Fans haben mit viel Musik und ausgelassener Stimmung jeden Auftritt ihres Teams gefeiert. Reiseberichte im Internet haben uns neugierig gemacht und zu einer Reise motiviert.
Trotz der überschaubaren Größe bietet Tobago eine sehr abwechslungsreiche Landschaft, deren Zentrum der Regenwald ist. Dieser ist das älteste Naturschutzgebiet der westlichen Hemisphäre und deckt einen großen Teil der Insel ab. Zudem bietet die Lage auf der Grenze zwischen Atlantik und Karibik einerseits flache, fast weiße Sandstrände und andererseits schroffe und teils felsige Klippen. Flora und Fauna werden von einer Vielzahl seltener Vögel und prächtig blühender Pflanzen geprägt.
Schon kurz nach unserer Ankunft im Mai 2013 haben uns die Schönheit der Insel und die Offenheit der Menschen in Ihren Bann gezogen, so dass wir Tobago inzwischen bereits drei Mal bereist haben. Unsere Unterkünfte fernab größerer Hotels – die es auf Tobago ohnehin kaum gibt – haben uns in den Dörfern Castara und Buccoo schnell in das Herz des lokalen Lebens gebracht. Dank der offenen und freundlichen Art der „Tobagonians“ konnten ab dem ersten Tag Bekanntschaften aufgebaut und spannende Gespräche geführt werden.
Immer widerkehrende Themen in den Unterhaltungen und täglichen Erfahrungen waren Geduld, Zuversicht und Zufriedenheit. Bei allen Unterschieden zwischen den Kulturen wurde aber auch deutlich, dass es keine „richtige“ oder „falsche“ Lebensweise gibt. So wie unsere Gesprächspartner die europäische Zuverlässigkeit und Organisation bewundern, haben wir die gelassene Art, bei der auch mal „Fünfe gerade gelassen werden“, schätzen gelernt. Auch der stets präsente Optimismus hat uns stark beeindruckt.
Den Wert insbesondere dieser karibischen Einstellung haben wir bei unserem Aufenthalt 2015 erfahren dürfen. Nach dem wunderschönen Urlaub 2013 haben wir beschlossen, am einsamen Strand von Buccoo den Bund der Ehe zu schließen. Entgegen unserer Erwartung hat es in den acht Tagen nach unserer Ankunft bis zum Termin der Trauung fast durchgängig geregnet. Für uns, mit der Vorstellung einer Traumhochzeit am sonnigen Strand angereist, eine riesige Enttäuschung und Belastung für die Nerven. Unsere Bekannten auf der Insel konnten unsere Anspannung allerdings zu keiner Zeit nachvollziehen – schließlich habe es seit Menschengedenken noch nie so lange auf Tobago geregnet und es müsse daher kurzfristig besser werden. Dieses beruhigte uns kaum, da es für die Zeremonie keine Alternative zur Trauung am Strand gab. Die letzte Hoffnung ging verloren, als wir um 7 Uhr am Morgen der Hochzeit vom Prasseln des Regens auf dem Dach unseres Apartments geweckt wurden. Enttäuscht machten wir uns fertig für den Gang zum Strand. Innerhalb der nächsten Stunde vollzog sich dann das nicht mehr für möglich gehaltene Wunder. Der Himmel riss auf, die Wolken wichen einem strahlend blauen Himmel und die Sonne tauchte Meer, Strand und Palmen in wundervolles Licht. Kurzum: Wir haben unsere ganz persönliche Traumhochzeit und den schönsten Tag unseres Lebens erleben dürfen.
Bei unseren neu gewonnen Freunden Veronika und Lennon sind Geduld und Zuversicht in ihrer Einrichtung „Healing with Horses“ (http://www.healing-with-horses.org/) unverzichtbare Elemente der täglichen Arbeit. Die beiden betreuen mit ihrem Team beeinträchtigte Kinder und Jugendliche. Durch den Umgang mit Pferden werden in kleinen und behutsamen Schritten motorische Fähigkeiten und sowie Aufbau und Pflege sozialer Kontakte trainiert. Kleinere und größere Rückschläge sind ständige Begleiter dieser Arbeit. Die erzielten Fortschritte und Erfolge speisen das Team hingegen mit Motivation und Freude. So durften wir z.B. bereits erleben, dass Kinder mit zuvor stark autistischen Zügen über den Kontakt mit den Tieren nun auch Menschen gegenüber aufgeschlossen gegenüberstehen. Auch ehemals kaum bewegungsfähige Kinder sitzen nun stolz und eigenständig auf dem Rücken der Pferde.
Diese Erlebnisse und viele weitere kleine Anekdoten haben mich im privaten und beruflichen Alltag geprägt. Ich habe gemerkt, dass mehr Gelassenheit und Zuversicht im Job den Kopf befreien und dabei helfen, auch in stressigen Situationen klare Gedanken zu fassen. In Besprechungen überträgt sich die positive Sichtweise und Ausstrahlung auf die anderen Teilnehmer und wirkt sich angenehm auf den Gesprächsverlauf aus.
Auch bei alltäglichen Situationen, wie der Fahrt ins Büro, reagiere ich nun wesentlich gelassener. Hat früher eine verspätete S-Bahn den Puls in die Höhe getrieben, nutze ich die Zeit nun lieber für nette Gespräche mit anderen Bahnfahrern. Die vermeintlich verlorene Zeit sehe ich nun vielmehr als Gewinn.
Ich habe gelernt, Umstände, die ich nicht ändern kann, zu akzeptieren und Wichtiges von weniger Wichtigem zu trennen. Die Lebensart meiner karibischen Freunde hat mir somit den Umgang mit dem teilweise hektischen Leben in Deutschland deutlich erleichtert. Auf der anderen Seite konnten unsere Bekannten auf Tobago mit dem einen oder anderen Tipp von mir ihr eigenes Geschäft weiter entwickeln. Aus unserem ständigen Austausch per Email und Chat hat sich inzwischen sogar ein eigener Blog (https://www.tobago-live.de/) entwickelt, in dem ich interessierten Reisenden Tipps zu Land und Leuten sowie den Tätigkeiten unserer Freunde auf Tobago gebe.
Die nächste Reise in die Karibik ist übrigens bereits für 2019 geplant – schön zu wissen, dass auch eine eventuelle Flugverspätung den Start auf den Urlaub nicht verderben wird.
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